Neues BSG-Urteil - Vertretung gegen Umsatzbeteiligung führt zur Sozialversicherungspflicht
Der Fall
Die Klägerin betrieb eine augenärztliche Praxis in der Rechtsform einer GmbH in Bremen. Für jeweils fünf Stunden an ein bis zwei Tagen pro Woche übernahm eine Vertretungsärztin die Sprechstunden. Dem lag ein Vertrag zugrunde, wonach die Inhaberin der Vertretungsärztin die personelle, räumliche und sächliche Infrastruktur einer augenärztlichen Praxis zur Verfügung stellte. Die Vertretungsärztin verpflichtete sich zu einem einheitlichen Auftreten nach außen unter Verwendung der von der Praxisinhaberin entwickelten Formulare. Mit dem Formular "Behandlungsauftrag" schloss sie Behandlungsverträge mit den Patienten, die sich damit bereiterklärten, dass die Leistungen über die Praxisinhaberin abgerechnet wurden. Diese übernahm auch das Forderungsmanagement.
Dabei handelte es sich überwiegend um selbst einbestellte Patienten der Vertretungsärztin, teils wies ihr aber auch die Praxiseigentümerin Patienten zu. Die Praxiseigentümerin rechnete aber sämtliche Leistungen ab. Davon behielt sie 65 Prozent, 35 Prozent erhielt die Vertretungsärztin. Ähnlich verfuhr die Praxisinhaberin offenbar auch mit weiteren Vertretungsärzten.
Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) stellte die Sozialversicherungspflicht der zu dem Verfahren beigeladenen Vertretungsärztin fest. Dagegen klagte die Praxisinhaberin. Während das Sozialgericht Bremen sowie das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis verneinten, wies das BSG die Klage ab. Für das Gericht überwogen die Anhaltspunkte für eine abhängige Beschäftigung.
Begründung des BSG
Die Vertretungsärztin sei in die Betriebsabläufe der Praxis eingegliedert gewesen. Sie habe dort die gesamte Infrastruktur genutzt. Gegenüber dem Praxispersonal habe sie nur „fachliche Weisungen“ erteilen können, habe aber keine Arbeitgeberfunktion ausgeübt. Auch über alle anderen Fragen der Praxisorganisation habe ausschließlich die Praxisinhaberin entschieden.
Die Vertretungsärztin habe nur für die Einnahmeseite ein Ausfallrisiko getragen, weil ihre Einkünfte von den Honorarzahlungen der behandelten Patienten abhingen. Den größeren Teil des Zahlungsausfallrisikos habe mit 65 Prozent zudem die Praxisinhaberin getragen.
Ein Verlustrisiko konnte das BSG nicht erkennen, zumal auch keine eigenen Betriebsmittel eingesetzt wurden. Das vereinbarte Honorar sei nicht von der Deckung der Praxiskosten, sondern ausschließlich als Umsatzbeteiligung definiert worden. Insgesamt wertete das BSG die Einkommenssituation der Vertretungsärztin als eher vergleichbar mit einem Beschäftigungsverhältnis als mit einer typischen Selbstständigkeit.
Fazit
Bisher war bereits klar, dass die Vertretung eines Arztes in einer Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) durch einen nicht zur BAG zugehörigen Arzt, eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit darstellt.
In einer Einzelpraxis, in der ein Vertretungsarzt die Stelle des Praxisinhabers übernimmt, liegt kein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vor, wenn auch die Arbeitgeberfunktion erkennbar ausgeübt wird. Es ist also unbedingt darauf zu achten, dass diese im Vertretungsvertrag klar und eindeutig beschrieben wird. Ansonsten wird man Gefahr laufen, dass die DRV die Vertretung als sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis einstuft. Wer dem Vertretungsarzt nicht so weitreichende Befugnisse einräumen möchte, wird sich diese Form der Praxisvertretung vermutlich dreimal überlegen.
Quellen:
- Urteil des Bundessozialgerichts vom 12.12.2023,Az.: B 12 R 10/21 R, Terminvorschau und Terminbericht:
- https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Verhandlungen/DE/2023/2023_12_12_B_12_R_10_21_R.html