Aktuelles Gerichtsurteil - Psychosomatik-Ziffern ohne F-Diagnose abrechnen?

Psychosomatische Beschwerden sind in der gynäkologischen Praxis häufig. Die beiden Ziffern der psychosomatischen Grundversorgung, 35100 und 35110, sind – leider - auch die beiden einzigen Ziffern für die Abrechnung einer Gesprächsleistung. Aufgrund der Komplexität der Regelungen der beiden Ziffern im EBM sind sie auch häufig Gegenstand von Plausibilitäts- und Wirtschaftlichkeitsprüfungen.

 

Der aktuelle Fall

Aktuell beschäftigt sich das Sozialgericht (SG) Marburg intensiv mit Wirtschaftlichkeitsprüfungen der beiden Ziffern der psychosomatischen Grundversorgung. Dabei hat das SG in der Vergangenheit immer wieder arztfreundlich entschieden und die Spruchpraxis sowohl des Prüfungs- als auch des Beschwerdeausschusses als unzulässig angesehen und in Konsequenz die Prüfbescheide mit den festgesetzten Regresssummen aufgehoben.

Im aktuellen Fall handelt sich um eine Hausarztpraxis, deren „Vergehen“ dahingehend bestand, die Ziffern 35100/35110 im Vergleich zum Ansatz der Fachgruppe zu häufig abgerechnet zu haben. Der Prüfungsausschuss und in zweiter Instanz der Beschwerdeausschuss hatten als Ergebnis einer Wirtschaftlichkeitsprüfung eine pauschale Kürzung der beiden Leistungen beschieden. Dagegen erhob die Praxis Klage. Der beklagte Beschwerdeausschuss hat Revision eingelegt, so dass das Urteil nicht rechtskräftig geworden ist und sich jetzt das Landessozialgericht Hessen mit dem Fall befassen muss. Wahrscheinlich wird das Verfahren aber erst durch das Bundessozialgericht endgültig entschieden. Inzwischen liegen dem SG Marburg bereits sechs Klagen mit ähnlichem Inhalt vor, das diese ruhen lässt, bis das LSG entschieden hat.

Das Urteil hat trotzdem ein beachtliches Echo in der ärztlichen Fachpresse gefunden. Für die praktische Arbeit sind drei Schlussfolgerungen der Urteilsbegründung besonders relevant.

Das Gericht vertritt die Auffassung, dass

  • eine pauschale Kürzung nicht zulässig sei. Hier komme es auf den Einzelfall an. Die Prüfgremien müssten sich daher auch bei einer Wirtschaftlichkeitsprüfung die Patientendokumentation des einzelnen Abrechnungsfalls anschauen und würdigen.
  • aus dem Prüfbescheid nachvollziehbar sein müsse, wie der Prüfungsausschuss das Abrechnungsverhalten des Arztes beurteilt hat und wie die Kürzung begründet wird. Dies hätte im vorliegenden Fall nicht nachvollzogen werden können. Konkret hätte der Arzt also nicht erkennen können, worin das unwirtschaftliche Abrechnungsverhalten zu erkennen sei – außer der Tatsache, dass die Ziffern häufiger angesetzt wurden als im Durchschnitt der Fachgruppe.
  • für die korrekte Abrechnung der 35100/35110 ;keine F-Diagnose notwendig sei.

 

Bedeutung des Urteils

Regresse aufgrund pauschaler Kürzungen

Nach der laufenden Rechtsprechung des Bundessozialgerichts dürfen die Prüfgremien im Rahmen von Wirtschaftlichkeitsprüfungen Honorare immer dann pauschal kürzen, wenn das Abrechnungsverhalten eines Arztes in einem „offensichtlichen Missverhältnis“ zur durchschnittlichen Häufigkeit der Abrechnung der Vergleichsgruppe steht und dieses nicht durch Praxisbesonderheiten erklärbar ist. Die Grenze des offensichtlichen Missverhältnisses ist nicht abschließend definiert. In der Praxis kann man davon ausgehen, dass die Grenze bei Ziffern, die von der Mehrzahl der Fachgruppe angesetzt werden, bei einer Überschreitung von 50 % angesetzt wird. Diese gängige Praxis stellt das SG Marburg jetzt infrage. Es bleibt abzuwarten, ob die Auffassung des SG im Instanzenweg Bestand hat.

Abrechnung psychosomatischer Leistungen ohne kodierte F-Diagnose

Das Gericht hat jetzt, aber auch in früheren Urteilen, klargestellt, dass die Leistungen der Ziffern 35100/35110 in der Psychotherapierichtlinie des G-BA geregelt sind. Daher können sie auch nur bei den dort genannten Indikationen abgerechnet werden, z.B. affektiven Störungen, Angst- und Zwangsstörungen sowie Anpassungs-, Ess- und nichtorganischen Schlafstörungen. Ärzte müssten diese Erkrankungen aber nicht zwingend auch als Abrechnungsdiagnose kodieren. Es reiche deshalb aus, wenn sich Diagnose oder Indikation anhand der Patientendokumentation nachvollziehen lasse.

Sie haben jetzt zwei Möglichkeiten:

  1. 1. Wer bei der Abrechnung der Ziffern 35100/35110 eine qualifizierende F-Diagnose verschlüsselt, macht alles richtig und ist auf der sicheren Seite.
  2. 2. Wer keine F-Diagnose verschlüsseln will, sollte darauf gefasst sein, im Prüfungsfall sein Recht einklagen zu müssen. Der Regress ist dabei erst einmal wirksam, die Honorarkürzung wird mit dem Wirksamwerden des Bescheids des Beschwerdeausschusses einbehalten. Ein Sozialgerichtsverfahren dauert Jahre und kostet Geld und Nerven!

Sollte sich die Rechtsauffassung des SG Marburg allerdings durchsetzen, heißt dies auch, dass ein Arzt dann seine Patientendokumentation vorlegen muss. Diese muss so ausführlich und plausibel sein, dass das Gericht anhand der Beschreibung zweifelsfrei nachvollziehen kann, dass Erkrankungen und Beschwerden des Patienten eindeutig den Schluss einer psychosomatischen Erkrankung zulassen.

 

X

Sie haben bereits einen Campus-Login?

Jetzt einloggen!

DocCheck Login


Sie haben noch keinen Campus-Login?

Dann registrieren Sie sich jetzt und erhalten Zugriff auf alle Dokumente und Medien!
Unseren Newsletter erhalten Sie, wenn Sie unten einen Haken setzen.
Falls Sie Ihr Passwort nicht mehr wissen, können Sie es hier zurücksetzen. 

CAPTCHA-Bild zum Spam-Schutz Wenn Sie das Wort nicht lesen können, bitte hier klicken.