Social Media & Co. - neue Möglichkeiten in der Verhütungsberatung?

Internetnutzer:innen konsultieren bei Gesundheitsfragen immer häufiger Social-Media-Plattformen. Auch im Bereich der Verhütungsberatung nimmt der Einfluss sozialer Medien kontinuierlich zu – und bei Weitem nicht nur die ganz jungen Patient:innen greifen auf der Suche nach Informationen regelmäßig auf soziale Netzwerken und Ratgeber-Communities zurück.

 

Vor welche Herausforderungen diese Entwicklung Ärzt:innen stellt, aber auch welche Chancen Social-Media-Plattformen für eine effektive Gesundheitskommunikation bieten können, war Thema des Gedeon-Richter-Webinars Im Fokus: Instagram, TikTok & Co Verhütungsberatung 2.0. In der mit einem CME-Punkt honorierten Online-Veranstaltung unter der Moderation von Dr. Christian Günschmann gaben zwei Expertinnen aus dem Bereich Frauengesundheit einen Einblick in die Anforderungen und Potenziale einer digitalen Zielgruppenansprache.

Wo informieren sich Patientinnen?

„Rund die Hälfte der Patientinnen informiert sich in sozialen Medien über Verhütung“, eröffnete Dr. Elena Leineweber ihren Vortrag. Die drastische Entwicklung weg von der Pille sei nicht zuletzt auf diese gestiegene mediale Aufmerksamkeit zurückzuführen, so die Fachärztin für Frauenheilkunde am Hormon- und Kinderwunschzentrum der Uniklinik Bonn und in der Praxis Dres. Leineweber in Lippstadt.

Während der Anteil der Patient:innen, die sich online informieren, hoch ist, nutzen Ärzt:innen die digitalen Kanäle nur sehr eingeschränkt zur Kommunikation – dies verdeutlichte Leineweber, die selbst als „Doktor Ela“ auf Social-Media-Plattformen aktiv ist, in einer Kurzumfrage unter den Webinar-Teilnehmer:innen. Nur rund 9 % der Teilnehmer:innen gaben an, sowohl Facebook als auch Instagram und TikTok zu nutzen – überhaupt keinen Social-Media-Account pflegen hingegen rund 30 % der Befragten. Dass dies im gynäkologischen Praxisalltag durchaus ein Problem darstellen kann, verdeutlichte Leineweber anhand eines einfachen Rechenbeispiels, wonach „365 Tagen im Jahr stundenlange Verhütungsberatung in Social Media nur 1 Tag im Jahr minutenlange Verhütungsberatung in der Praxis“ gegenübersteht. Zudem, so Leineweber, würden Informationen zu Pille & Co. in den sozialen Medien oft von selbsternannten Expert:innen und Life Coaches verbreitet – in der Regel ohne externe fachliche Prüfung oder Redaktion. Dies führe bei Frauen zu Angst, Verunsicherung und Unbehagen.

„Es ist unsere Aufgabe, auf Augenhöhe aufzuklären und die Unsicherheit zu nehmen“, skizzierte die Expertin für Hormone und Kinderwunschmedizin den Anspruch an die zunehmend digitale Gesundheitskommunikation. Dazu gehöre in der gynäkologischen Praxis auch, der Patientin das gesamte Therapiespektrum aufzuzeigen, ihre Wünsche zu akzeptieren – und die Trends in den sozialen Medien zu kennen. „Hot Topics“ in den sozialen Medien seien im Bereich der Verhütungsberatung derzeit beispielsweise das „richtige“ Absetzen der Pille, ein möglicher Nährstoffmangel unter hormoneller Verhütung sowie das sogenannte „Zyklusfeeling“. Ein „wahnsinniges Interesse an Informationen, an die man sonst nicht herankommt“, verortete Leineweber bei gynäkologischen Patientinnen; als Beispiel sei hier die Spiralen-Einlage zu nennen. Die Beantwortung offener Fragen nicht allein den Gesundheitsexperten zu überlassen, erfordert jedoch ein Umdenken in der Verhütungsberatung.

Zeitmangel als Problem in der Verhütungsberatung

„Zurück in die Frauenarztpraxis“ führte Dr. med. Stephanie Eder, Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe (Gräfelfing, München) mit Schwerpunkt Jugendgynäkologie und Ärztin der ÄGGF#, das Publikum im zweiten Teil des Webinars. In der Praxis, so Eder, treffe die Ärztin bzw. der Arzt auf durch Social Media verunsicherte Patientinnen, deren Sorgen und Ängsten begegnet werden müsse. In der Verhütungsberatung sei Zeitmangel dabei das größte Problem, so die Referentin, denn laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung dauere ein Beratungsgespräch zum Thema Verhütung nur etwa sechs Minuten – verglichen mit einer täglichen Nutzungsdauer der sozialen Medien von 145 Minuten.

Dennoch lohne es sich für Ärzt:innen, trotz Zeitmangel und Druck die originäre ärztliche Aufgabe der Verhütungsberatung wahrzunehmen. Eder verwies in diesem Zusammenhang auf die Pressemitteilung des Berufsverbandes der Frauenärzte (BVF) e. V., wonach die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche im Jahr 2022 und im ersten Quartal 2023 erstmals seit Langem wieder gestiegen sei. Ein möglicher Zusammenhang wird in einem Rückgang der Pilleneinnahme gesehen – die Pille kommt also „aus der Mode“. Doch mit welchen Vorbehalten kommen Frauen in die Verhütungsberatung? „Ich will auf gar keinen Fall etwas mit Hormonen!“, so Eder, sei eine häufige Aussage von Patient:innen im Beratungsalltag. Eine große Herausforderung – gelte es dann doch, in dem sehr engen zeitlichen Rahmen von sechs Minuten die Bedürfnisse und Wünsche der Patientin bestmöglich zu eruieren. Doch nicht nur bei der Pille, auch bei nicht hormonellen Verhütungsmitteln wie der Kupferspirale müssen oftmals Mythen ausgeräumt werden, die einer Anwendung der alternativen Methode im Wege stehen können. Dies sei auf der Basis klinischer Evidenz problemlos möglich, führte die Vortragende aus.

Als ein „großes Thema“ in der Verhütungsberatung beschrieb Eder zudem die natürliche Familienplanung mit Verhütungscomputern und Zyklus-Apps – Methoden, die patientenseitig ein hohes Maß an Selbstdisziplin voraussetzen. Valide wissenschaftliche Studien, mit denen die kontrazeptive Sicherheit der verschiedenen Applikationen belegt werden könnten, gebe es derzeit allerdings kaum – keine gute Ausgangsbasis angesichts der „beratungshungrigen“ Patientinnen. Für Ärzt:innen sei es jedoch wichtig, so Eder, sich auch mit diesen Kontrazeptionsmethoden auszukennen. Auf keinen Fall dürfe die Patientin im Beratungsgespräch das Gefühl bekommen, nicht ernst genommen und nur mit Hormonen „abgespeist“ zu werden. Eine gute Patientenaufklärung sei zudem notwendig, um differenziert mit den „Mythen“ über hormonelle Verhütung umzugehen, die in den sozialen Medien durchaus glaubwürdig kolportiert werden. Wie also Instagram, TikTok & Co. am besten begegnen? „Wir haben das persönliche Gespräch – wenn wir die Patientinnen mit Kompetenz und Einfühlungsvermögen beraten, dann kommen sie auch gerne wieder zu uns“, so das Fazit der Expertin.

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Die Aufzeichnung der Veranstaltung

ist jederzeit online abrufbar.

#ÄGGF, Ärztliche Gesellschaft zur Gesundheitsförderung e. V.

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